Ausgehend vom Gerichtsbild zum «Salomonischen Urteil» in der Gerichtsstube Mellingen im Torhaus soll ein fiktives Lebensbild eines Gerichtstages entstehen. Die verschiedenen Szenen sollen die Zeit um etwa 1680 ins Bild setzen und den baulichen Zustand der Stadt dieser Zeit als Bühne verwenden. Die Szenen nehmen Rechtsfälle und Alltagsvorgänge auf, die in den Dokumenten dieser Zeit fassbar sind. 

 

Szene1: Altes Rathaus mit Gerichtsstube

 

Nach altem Brauch ist es frühestens acht Stunden nach Mitternacht vor dem Rathaus in Mellingen. Die Uhr am «Zeitturm» zeigt bald neun Uhr, die Gerichtsverhandlung sollte bald beginnen. Es ist ein Frühlingstag. Ein Fenster des Rathauses ist offen. Man erkennt den Weibel aus dem Fenster lehnend, der mit einer grossen Glocke läutet . In Eile sehen wir einige Magistrate der Stadt (Mitglieder des Kleinen Rates), die aus Richtung Grosse Kirchgasse zum Eingang des Rathauses eilen. 

Das Fenster der Gerichtsstube steht weit offen. Auf einem mächtigen Tisch sehen wir Schriftstücke liegen. Der Stadtschreiber eine Feder haltend bückt sich darüber. Zwischen den Fenstern steht ein zerzauster durchnächtigt und etwas verängstigt blickender Man mittleren Alters. Seine rechte Hand ist mit einer Handschelle an der Mittelsäule festgemacht. Unter diesem Fenster bildet sich eine Gruppe von mehreren Personen. Es sind Freunde des Angeklagten, die von der Strasse her auf den Schreiber einreden, um den Beschuldigten frei zubekommen. 

Im Hintergrund der Gerichtsstube erkennt man die Umrisse eines Wandbildes. Es ist das «Salomonische Urteil», das das Gericht an die Mühen einer gerechten Rechtsprechung erinnern sollte. 

 

Szene2: altes Rathaus Brückentor 

 

Der Henker aus Baden ist mit seinem Pferdekarren unterwegs nach Mellingen. Auf der Brücke seines Karrens hat er sein Rad für das «Radflechten» aufgeladen, dabei hat er auch noch eine Streckbank, Streckgewichte und zahlreiche Stricke dabei. Beim Durchgang durch das Brückentor trifft er auf eine sonderbare Frauengestalt mit einem Strohkranz um den Kopf und einer Geige um den Hals. Fast hätte er sie mit seinem Fuhrwerk überfahren. Voran geht ihr ein Trommler . Die "Sünderin" wird wohl für «Unzucht» mit einem Arrest und einer Verbannung davonkommen.

 

Szene3: Gerichtsszene auf dem Markplatz 

 

In der Hauptgasse (Markgasse)  sind Tische und Stühle für das Gericht aufgebaut, eine Menschentraube umringt die Szenerie. Die Strassen sind hier bereits gepflästert. Die Menschen tragen Alltagskleidung. Die Richter tragen über der Alltagskleidung einen Überwurf in den Farben der Stadt Mellingen (rot/weiss). Auf den Bänken sitzen Mitglieder des Gerichts einander gegenüber. Der Schultheiss als Vorsteher hält den Richterstab, vor ihm liegt das Richtschwert auf dem Tisch.  Die beiden Plätze für Weibel  (Ankläger) und Schreiber sind noch unbesetzt. Bereits anwesend, sind die Fürsprecher («Anwälte») beider Parteien. Auf Bänken, die mit schwarzen Tüchern überzogen sind, sitzen die Richter. Wenn das Gericht vollzählig ist, besteht es aus den Mitgliedern des Kleinen Rates (9 Personen) und dem Gross Rat (20 Personen). Die Fürsprecher der Parteien haben je 7 Richter als Berater ausgewählt, die mit dem Schulheissen das Strafmass festlegen. Sie sitzen mit einem Mantel in den Stadtfarben (rot/weiss) auf den Bänken links und rechts des Tisches mit dem Vorsitzenden Schultheiss, der auch an den Stadtfarben und dem Richterstab erkennbar ist. Durch die Menge werden zwei Angeklagte, die aus der Menge heraus beschimpf werden, gebunden vor das Gericht geführt. Die Szene hat etwas Aufgeregtes, Bewegtes, Angespanntes. Es ist zu erkennen, dass ein Richter versucht die Menge zu beruhigen. Die Angeklagten werden von einem Priester begleitet, der deutlich sichtbar ein Kreuz voranträgt. 

Angeklagt sind zwei Diebe, die einen Kelch und andere Kirchengüter gestohlen haben. Sie wirken erschöpft und verängstigt. Sie zeigen aber wenig Zeichen von Folter, weil sie nach kurzer Befragung im Turm den Diebstahl gestanden haben. Jetzt hoffen sie noch auf ein mildes Urteil, aber die Stimmung ist wegen den Glaubenswirren wieder einmal aufgeladen. Die Menge verlangt eine harte Strafe. 

 

Die Gerichtsszenerie wird eingerahmt durch Neugierige, die aus den Fenstern der Häuser schauen, es sind vor allem Frauen und Kinder. Auch sind einige spielende Kinder auf der Hauptgasse zu sehen, die einem Hund nachrennen . Im Haus Nr. 91 (Krone)  sind die Fenster weit offen.  Im Hintergrund erscheint  ein mit Hellebarde bewaffneter Mann, es ist der «Wächter» der Stadt Mellingen. Er fordert die  noch fehlenden  Männer in den Häusern auf, auf dem Gerichtsplatz zu erscheinen, denn die Verhandlung ist für alle Bürger verpflichtend.

 

Szene4: Zeitturm und Gefängnis («Das Loch»)

 

Rechts unter dem Torbogen zerrt ein Mann eine verängstigte junge Frau aus dem Turm in die Gasse hinaus. Rechts neben dem Turm sehen wir eine «Trülli», eine Art drehbarer Käfig. Im Käfig steht eine Frau mittleren Alters. Sie hat mehrmals Socken gestohlen und wird zur Strafe öffentlich zur Schau gestellt. Wir sehen Personen, die unterwegs zum Gerichtsplatz sind, den Käfig drehen. Sie verspotten die Frau und lachen.  

 

Szene5: Scheunengasse 

 

Mit Pferd und Wagen ist der Werkmeister der Stadt aus Richtung Scheunengasse unterwegs mit einem Knecht. Das Pferd steht auf der Höhe der «Trülli» und scheut etwas. Auf ihrem Karren haben sie viel Brennholz geladen. Sie sind unterwegs zur «Galgenmatt». Dort muss der Galgen repariert werden. Dazu haben beide einen Balken und Werkzeug aufgeladen. Sie sind in Eile und winken die kleine Gruppe um die «Trülli» zur Seite. Der Balken soll den morschen Querbalken des Galgens ersetzen. Bis am Abend sollte alles bereits sein für das Hinrichtungsspektakel. 

 

Hintergrundinformationen zu den Szenen

 

Mellingen war seit dem Spätmittelalter ein wichtiger Gerichtsort in der Grafschaft Baden. Mellingen hatte das Recht über die Einwohner der Stadt und alle Rechtsfälle innerhalb der Stadt zu richten. Unterschieden wurde zwischen dem Blutgericht also über Rechtsfälle, die mit der Todesstrafe geahndet werden konnten und der «niederen Gerichtsbarkeit» ( Frevelgericht ) für alle übrigen Rechtsfälle. 

Über die Form des Blutsgerichtsverfahrens sind wir durch die Quellen recht gut unterrichtet. Wer genau dem Blutgericht unterstellt wurde, bleibt allerdings unsicher. Sicher wurden Fälle von schwerem Diebstahl, ebenfalls Mord, Brandstiftung und Hexerei verhandelt. 

Einberufen wurde ein Gerichtstag nach Bedarf durch den Schultheissen (Bürgermeister), der dem Gericht vorstand. Alle Bürger der Stadt mussten sich am Gerichtstag öffentlich versammeln und der Verhandlung, der Urteilsfindung und der Vollstreckung des Urteils zusehen. Sicher konnten zahlreiche weitere Zuschauer und Zuschauerinnen dem bewusst öffentlichen Spektakel folgen. Der Gerichtstag bekam damit auch einen «Festcharakter», bei dem Neugier, Unterhaltung, Geselligkeit und Rechtsfindung eng miteinander verbunden waren. Mellingen hatte in dieser Zeit ca. 400 Einwohner beiderlei Geschlechts. Es waren also ca. 150 Rechtsfähige zum Gerichtstag aufgeboten. Das Gericht bestand aus dem Kleinen (9 Mitglieder) und dem Grossen Rat (ca. 20 Mitglieder, 7 sitzen im Gericht). Ankläger und Untersuchungsrichter war der Weibel oder Stadtknecht, der in den Stadtfarben rot und weiss auftrat. Er führte auch die dreitägige Strafuntersuchung im Vorfeld der Verhandlung. Der Stadtschreiber führte Protokoll. Der Schulheiss sprach in der Regel das Urteil, das mit einem geregelten «Drehbuch» und in festen Formeln verkündet wurde. Aus der Gerichtsordnung von 1602 ist das Beispiel eines der sehr seltenen Todesurteile überliefert:

 

Der Schultheiss als Vorsitzender des dortigen Blutgerichts sprach: «Armer Mensch, höre dein Urteil an!» Er las ihm das Urteil, ein «Stäblin »in der Hand haltend, und da er das vorgelesen, bricht er den Stab und wirft die Stücke vor dem armen Menschen zu Boden und spricht also: «So gewiss, dass dieser Stab gebrochen, so gewiss wirst du heut des Todes sterben. Hier bei uns Menschen ist keine Gnad, bei Gott ist Gnad». 

 

In der gleichen Form vollzog sich die Urteilsverkündigung wohl auch in Baden oder an anderen Orten. Anwesend waren nebst den Angeklagten und ihren Angehörigen auch die Parteien der Geschädigten und Verteidiger der Angeklagten. Der Weibel als Vertreter der Anklage erhielt zur Unterstützung einen Fürsprecher. Die Streitparteien wählten aus dem Gericht je die Hälfte zu „Ratgebern“, die sich während der Urteilsfindung mehrmals zu wechselseitigen Beratungen treffen konnten. 

 

Über einen Mellinger „Henker“ oder Folterknecht ist nichts bekannt. Bei Bedarf wurde aus Baden ein Henker „angemietet“ und auch Werkzeuge wurden aus fremden Beständen bezogen. Insgesamt waren Todesurteile in Mellingen recht selten, so ist etwa aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nur ein einziger Fall bekannt. Dies gilt insgesamt auch für die Hexenprozesse, über die wir sehr wenig wissen. 

Das Urteil des Gerichts stützte sich auf die Aussage von Zeugen und/ oder das Geständnis des Angeklagten. Die Geständnisse durften nach Prozessordnung unter der Folter erzwungen werden. Am Gerichtstag hat das Gericht in der Regel bereits ein Geständnis des Angeklagten oder die Zeugen mussten in der Öffentlichkeit ihre Anklagen wiederholen. Es ging also meistens nur noch um das Strafmass, welches das Gericht häufig in einem Verhandlungsprozess zwischen den Geschädigten und dem Umfeld des Täters aushandelte. Dabei konnte es geschehen, dass das Gericht zwischen öffentlichem Gerichtsplatz, Gerichtskanzlei (in Mellingen Gerichtsstube) und Gefängnis hin und her wechselte. 

 

Der eigentliche Gerichtsprozess begann eigentlich schon drei Tage vor dem Gerichtstag mit dem Aufgebot für den Angeklagten. Dann begannen die Verhöre des Angeklagten im Untersuchungsgefängnis in Mellingen wohl der Zeitturm. Zutritt zum Angeklagten hatte auch ein Geistlicher. Idealerweise legte der Angeklagte in dieser Phase ein Geständnis ab.

Der Gerichtstag begann am Morgen mit dem Läuten einer Glocke und dem Einzug des Gerichts im Rathaus. Man kann davon ausgehen, dass sich das Gericht ein erstes Mal in der Gerichtsstube traf. In der Zwischenzeit füllte sich der Gerichtsplatz wohl in der Mitte der Hauptgasse mit viel Volk. Eine Gruppe von 7 Richtern geführt vom Stadtweibel besuchte den oder die Angeklagten und fragte ein erstes Mal, nach der Bereitschaft sich dem Urteil des Gerichts zu unterwerfen. Weigerte sich der Delinquent versuchte das Gericht erneut mit hartem Verhör oder Folter ein Geständnis zu erwirken. Dieser Wechsel konnte sich auch mehrmals wiederholen. Bis das Gericht über das weitere Vorgehen entschieden hatte. Anschliessend zog das Gericht das Gerichtsschwert (Reichsschwert) vorantragend auf den Gerichtsplatz, setzte sich in die schwarzbemalten Bänke und die öffentliche Verhandlung konnte beginnen. Dabei durften die Richter sitzen. Das «Gemeine Volk» musste während der Verhandlung stehen bleiben. Stand das Urteil und das Strafmass fest, so wurde der Angeklagte durch den Henker gebunden und an der Spitze eines langen Zuges aus der Stadt geführt. Weit ausserhalb der Stadt bei der «Galgenmatt» zwischen Wohlenschwil und Tägerig wurde die Strafe öffentlich und nach einem vorgegebenen Verfahren vollzogen.

 

Museum Mellingen im Geschichtsraum Altstadt